Bereits mit Beschluss vom 8. November 2024 hat der Landesfrauenrat BW nochmals explizit die Einführung der EAÜ gefordert. Der Beschluss wurde einstimmig angenommen. Bereits seit 2018 fordert der Landesfrauenrat BW die umfassende Umsetzung der Istanbul-Konvention. Im Landesfrauenrat BW werden mehr als 2 Mio. Frauen in BW in über 50 Mitgliedsverbänden repräsentiert.
Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist nur ohne geschlechtsbezogene Gewalt möglich, denn diese stellt eine besonders schwerwiegende Form des Machtmissbrauchs und der Menschenrechtsverletzung dar. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) kann entscheidend dazu beitragen, schwere häusliche Gewalt einzudämmen und Femiziden vorzubeugen und die Einhaltung von Annäherungs- und Kontaktverboten effektiver umzusetzen.
Wir müssen aufhören, Mythen (z.B. über die angeblich heile Familie), abwertende Glaubenssätze im Hinblick auf Frauen und Mädchen und sexistische
„Selbstverständlichkeiten“ zu legitimieren, zu beschönigen oder zu verschleiern. Wir müssen gesellschaftlich eine Entwicklung im Hinblick auf geschlechtsspezifische Gewalt anstoßen, die auf Verantwortung, insbesondere auch der Täter, und auf Schutzprozesse abzielt. Wir müssen hin- und nicht wegschauen: Das Fehlen einschneidender Präventionsmaßnahmen gegen die massive häusliche und Partnerschaftsgewalt fördert den Eindruck, dass Gewalt in irgendeiner Form in unserer Gesellschaft grundsätzlich in Ordnung sei, sonst würden wir sie nachhaltiger bekämpfen.
Erkennen wir die Rechte der Frauen an, frei, unversehrt und selbstbestimmt zu leben. Wir befürworten den Gesetzentwurf daher in vollem Umfang.
Statistiken: Deutschlandweit sind durchschnittlich täglich mehr als siebenhundert Menschen, insbesondere Frauen, von häuslicher Gewalt betroffen. Nahezu jeden zweiten Tag stirbt eine Frau durch Partnerschaftsgewalt. Die Zahlen sind erschreckend und wichtig, deshalb wurden sie am heutigen Tag bereits mehrfach wiederholt. Darüber hinaus ist aber zusätzlich von einem enormen Dunkelfeld auszugehen, wie Studien und Analysen belegen
Die über 5 Jahre steigenden Zahlen der geschlechtsspezifischen Gewalttaten gegen Frauen erfordern weitere gesetzgeberische Maßnahmen wie die EAÜ, die im Ausland bereits zu sinkenden Fallzahlen geführt haben. Die bisher in Deutschland durchgeführten Maßnahmen führten zu keiner Besserung.
- Bagatellisierung: Veränderung setzt das Erkennen voraus. Trotz der alarmierenden und steigenden Zahlen von Gewaltbetroffenen wird geschlechtsbezogene Gewalt weiterhin bagatellisiert, auch indem sie als individuelles Problem Einzelner eingestuft oder aus einer „plötzlichen normalen Emotion“ heraus erklärt wird. Und dies, obwohl Femiziden fast immer eine lange Geschichte systematischer Erniedrigung, Isolierung, psychischer und physischer Gewalt durch die Täter vorausgeht. Darüber hinaus werden die massiven Folgen für die Kinder dieser Frauen ausgeblendet.
Der Gesetzgeber in Baden-Württemberg steuert mit der EAÜ nach und setzt ein klares Signal zur tatsächlichen Kontrolle von Annäherungsverboten, entsprechend dem Vorgehen, das andere Bundesländer bereits umgesetzt haben.
- Strukturelle Diskriminierung: Gewalt gegen Frauen ist strukturell, d.h. im Zusammenleben und der Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern, angelegt, wohnt patriarchalen Strukturen inne und stabilisiert die ungleichen Machtverhältnisse. Unsere Wahrnehmung ist folglich verzerrt, wir sind voreingenommen durch diese Geschlechter-Verzerrungseffekte (Gender Biases). Die Motivationen der Täterinnen und Täter sind in der Realität jedoch meist grundverschieden: Frauen töten, um die Beziehung zu verlassen. Männer töten, um an dieser festzuhalten, weil sie vermeintlich davon ausgehen, ein Recht zu haben, über Frauen zu bestimmen.1 Im Hinblick auf die Gleichstellung ist Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern schlechter aufgestellt, es erstaunt deshalb nicht, dass wir in vielerlei Hinsicht unbestritten erfolgreiche Maßnahmen, z.B. aus Spanien oder Frankreich, erst übernehmen.
Erst Sanktionen wie die EAÜ zeigen die grundlegende gesellschaftliche Missbilligung der Gewalttaten nachhaltig auf und ermöglichen überhaupt erst den Ausgleich eines inakzeptablen Machtgefälles zu Lasten der Frauen in den benannten schweren Fällen.
- Prävention und Intervention: Die EAÜ ist eine präventive Maßnahme gegen häusliche Gewalt und tödliche Partnerschaftsgewalt, aber sie ermöglicht darüber hinaus erst die zielgenaue Intervention. Daher ist diese Maßnahme so wertvoll. Sie bleibt jedoch nur EINE der gesetzlichen Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gemäß der Istanbul- Konvention.
Ziel sollte in BW sein: Nulltoleranz gegenüber Gewalt an und gegen Frauen in unserer Gesellschaft. Dies ist über die Umsetzung von einzelnen Maßnahmen wie der EAÜ schnellstmöglich sicherzustellen.
1 Julia Habermann, Partnerinnentötungen und deren gerichtliche Sanktionierung, 2023, zitiert in Christina Clemm, Gegen Frauenhass, Berlin, 2023.
- Finanzen: Kosten der Nachsorge und Intervention sind um ein Vielfaches höher als die Kosten der Prävention. Die gesellschaftlichen Folgekosten der häuslichen und sexualisierten Gewalt gegen Frauen, Traumatisierung und Aufrechterhaltung eines Abhängigkeitsverhältnisses ohne Perspektiven beläuft sich nach der Schätzung einer europäischen Studie in Deutschland auf 54 Milliarden EUR pro Jahr, somit durchschnittlich auf 148 Mio. EUR pro Tag.2 Auch die EU-Kommission stellte bereits 2010 fest,3 dass
Gleichstellungsmaßnahmen nicht als kurzfristiger Kostenfaktor zu betrachten sind, sondern als langfristige Investition.
- Gesetzlicher Rahmen: Art. 53 Abs. 3 der Istanbul-Konvention und Art. 19 Abs. 5 S. 1 der EU-Gewaltschutzrichtlinie regeln, dass die Befolgung der Kontakt- und Näherungsverbote und der Schutzanordnungen durch wirksame, verhältnismäßige und abschreckende rechtliche Sanktionen bei Verstößen sichergestellt werden sollen. In Deutschland ist die Istanbul-Konvention seit Februar 2018 in Kraft, somit sind wir verpflichtet, für ihre Umsetzung zu sorgen.
So begrüßt der LFR BW die viel zu spät erfolgte Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes auf Bundesebene, das dringlichst in Baden-Württemberg umgesetzt werden muss. Diese Umsetzung wird jedoch für mehrere Jahre der Vorbereitung aufgeschoben werden. Denn auch eine EAÜ ist durch die im Gewalthilfegesetz geforderte verpflichtende Täterarbeit zur Bekämpfung der Ursachen der Gewalt zu ergänzen sowie um eine den vier Säulen der Istanbul-Konvention entsprechenden Gewaltschutz-Politik inklusive Fortbildungen für die Verantwortlichen, ein Organisationsnetzwerk für nachhaltigen Gewaltschutz, Monitoring etc. Erst dieses Gesamtpaket gewährleistete einen längerfristigen Schutz der gefährdeten Personen und die Beendigung der Gewaltspiralen.
Die EAÜ ist grundgesetzkonform möglich und ebenso in BW – wie bereits in einigen anderen Bundesländern geschehen – schnellstmöglich umzusetzen.
Die Umsetzung des Gewalthilfegesetzes in BW ist der nächste unabdingbare Schritt.
Die EAÜ ist schnellstmöglich wie vorgeschlagen umzusetzen und keinesfalls mit der aufgeschobenen Umsetzung des Gewalthilfegesetzes zu verknüpfen, da es dafür aufgrund des zeitlichen Abstands hinsichtlich deren Umsetzungen keine sachlichen Gründe gibt.
- Verbesserungsvorschlag: Nach unserer Ansicht sollte auch die Gefahr für die persönliche Freiheit nach §§ 239, 239 a und 239b StGB in Abs. 1 des § 32 unter Ziffer 3 aufgenommen werden.
Wir können Frauen JETZT vor brutaler Gewalt und Mord schützen, setzen wir die EAÜ auch in diesem Bereich schnellstmöglich um!
„Gewalt lebt davon, dass sie von den Anständigen nicht für möglich gehalten wird.“ (Sartre)
2 Studie des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE).
3 Bericht der EU-Kommission zur Gleichstellung von Frauen und Männern, 2010.